Mistelpräparat in der Therapie des inoperablen Pankreaskarzinoms?

24.07.2014

Mistelpräparate gehören in Deutschland zu den am weitesten verbreiteten und von Patienten gut akzeptierten Verfahren der komplementären Medizin. Der verantwortliche Umgang mit komplementären und alternativen Behandlungsverfahren ist vor allem in den letzten Jahren ein großes Anliegen der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften in Deutschland geworden [1, 2].

Die Wirksamkeit von Mistelpräparaten ist umstritten. In einer Cochrane Analyse von 21 randomisierten Studien mit insgesamt 3484 Patienten aus dem Jahr 2008 wurden Hinweise auf eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität von Mammakarzinompatientinnen gefunden, allerdings wurde vor allem ein Mangel an unabhängigen und qualitativ hochwertigen Studien konstatiert [3]. Auch nach 2008 publizierte Studien sind von unterschiedlicher Qualität, die Ergebnisse sind nicht gleichgerichtet.

Das Deutsche Ärzteblatt vom 21. Juli 2014 hat jetzt die Ergebnisse einer randomisierten klinischen Studie zum Einsatz eines Mistelpräparates bei Patienten mit inoperablem Pankreaskarzinom publiziert [4]. Ergebnisse zur Überlebenszeit waren Ende 2013 im European Journal of Cancer publiziert worden [5]. Die Erhebung der Lebensqualität wurde mittels des EORTC QLQ-C30-Fragebogens durchgeführt. Die Auswertung ergab in 6 Funktions- und in 7 von 9 Symptomskalen eine signifikante Verbesserung.

Leider hat die Studie eine Reihe methodischer Defizite. Gravierend sind:

  • Die Studie war nicht Placebo-kontrolliert. Eine fehlende Verblindung bei der Randomisierung wirkt sich insbesondere bei Studien mit subjektiven Studienendpunkten wie Lebensqualität aus [6]. Möglicherweise sind die signifikanten Unterschiede der serbischen Studie allein auf den Placebo-Effekt der Injektionen zurückzuführen.
  • Das Kollektiv der Studienpatienten und die Behandlungssituation sind nicht auf Deutschland übertragbar. Die Studie ist monozentrisch in Belgrad (Serbien) durchgeführt worden. Die kulturellen Unterschiede kommen in den Einschlusskriterien zum Ausdruck. Unter anderem wurden Patienten eingeschlossen, für die „vom Chirurgen keine Empfehlung zur Chemotherapie vorlag“. Und weiter heißt es dort: „Eine Revision des Konsilbeschlusses ist in Serbien nicht vorgesehen.“
  • Die Studienarme zeigen Imbalancen.
  • Nur 43 Patienten hatten eine histologische Sicherung der Diagnose, jedoch wurde bei 195 der Patienten die Diagnose „während der Operation“ festgestellt.
  • Die Daten zu den verschiedenen Studienparametern sind unvollständig. So wurden 220 Patienten (110 Patienten pro Studienarm) aufgenommen, jedoch sind bei dem Vergleich der Entwicklung des Körpergewichtes nur 72 Patienten für die Kontrollgruppe und nur 96 Patienten für die Mistelgruppe ausgewertet.
  • Die Studie stammt aus einer Zeit, in der die Gemcitabin-Monotherapie als Standard galt. Inzwischen gibt es im Behandlungskonzept des inoperablen Pankreaskarzinoms unterschiedliche Optionen wirksamer, systemischer Therapie [7, 8]. Diese Optionen führen zu Sequenztherapien. In der Erstlinientherapie ist ein Vergleich mit Best Supportive Care als Studienkonzept in Deutschland nicht akzeptabel. Die Schlussfolgerung der Autoren „die Misteltherapie … erwies sich als wirksame Zweitlinientherapie“ kann für Deutschland nicht nachvollziehen werden.


Das Deutsche Ärzteblatt sollte supplementäres Datenmaterial der Studie im Internet veröffentlichen, um allen Interessierten eine möglichst breite Grundlage für eine Analyse zu geben.

Das Deutsche Ärzteblatt hat eine gute Tradition der Diskussion von klinischen Studien durch Leserbriefe. Diese Möglichkeit sollte zur kritischen Auseinandersetzung genutzt werden.

  1. Integrative Onkologie: Neues Design oder neues Denken? Oncology Research and Treatment (früher: Onkologie) 12, Suppl 3, 2012. DOI:10.1159/000178606
  2. http://www.kompetenznetz-kokon.de/kompetenznetz
  3. Horneber MA, Bueschel G, Huber R, et al.: Mistletoe therapy in oncology. Cochrane Database Syst Rev (2): CD003297, 2008
  4. Tröger W, Galun D, Reif M et al.: Viscum album (L.) extract therapy in patients with locally advanced or metastatic pancreatic cancer: a randomized clinical trial on overall survival. Eur J Cancer 18:3788-3797, 2013. DOI: 10.1016/j.ejca.2013.06.043
  5. Tröger W, Galun D, Reif M, Schumann A, Stankovic´ N, Milic´ evic´ : M: Quality of life of patients with advanced pancreatic cancer during treatment with mistletoe—a randomized controlled trial. Dtsch Arztebl Int; 111:493–502, 2014. DOI: 10.3238/arztebl.2014.0493
  6. Wood L, Egger M, Gluud LL et al.: Empirical evidence of bias in treatment effect estimates in controlled trials with different interventions and outcomes: meta-epidemiological study. BMJ 336:601-605, 2008. DOI: 10.1136/bmj.39465.451748
  7. AWMF S3 Leitlinie zum exokrinen Pankreaskarzinom 2013, http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/032-010OLl_S3_Exokrines_Pankreaskarzinom_21112013.pdf
  8. Oettle H et al.: Nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom (NSCLC). Leitlinien von DGHO, OeGHO, SGMO und SGH+SSH, Status Februar 2013. (http://www.dgho-onkopedia.de/de/onkopedia/leitlinien/pankreaskarzinom)