AMNOG-Verfahren muss nachjustiert werden, um die Situation der Krebspatienten richtig zu erfassen

28. März 2017
In einer aktuellen Entscheidung im Rahmen der frühen Nutzenbewertung nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz hat der Gemeinsame Bundesausschuss für das Lungenkrebsmedikament Crizotinib (Xalkori®) die Festlegung „Zusatznutzen nicht belegt“ getroffen. Betroffen sind Patienten in einer molekulargenetisch definierten Subgruppe, bei denen das neue Medikament wirksamer und besser verträglich als die bisherige Chemotherapie ist.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat inzwischen 90 Verfahren zu neuen Arzneimitteln in der Onkologie abgeschlossen. Von den Innovationen in der Krebstherapie profitieren Patienten mit sehr unterschiedlichen bösartigen Erkrankungen, von Leukämien bis zum Melanom, aber auch im Bereich der unterstützenden Therapie, z. B. bei Übelkeit oder Infektionen. Auf der Basis der Dossiers, der Berichte und der Diskussionen bei den Anhörungen hat sich in den letzten Jahren eine Linie herauskristallisiert. Zentrale Kriterien des G-BA für die Festlegung eines Zusatznutzens sind Ergebnisse von Phase-III-Studien, eine Verlängerung der Überlebenszeit und auch immer häufiger Daten zur Lebensqualität und zum Patient-Reported Outcome. Einen besonderen gesetzlichen Schutz genießen Arzneimittel mit einem Orphan-Drug-Status. Ihr Zusatznutzen gilt durch die Zulassung als belegt.

Durch dieses Raster fallen allerdings Arzneimittel für kleine Gruppen von Patienten, die molekulargenetisch gut definiert sind, aber keinen Orphan-Drug-Status haben.

Aktuelles Beispiel ist Crizotinib (Xalkori®) bei Patienten mit ROS1-positivem, nichtkleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC). Die Zahl der neuerkrankten Patienten wird in Deutschland auf maximal 300-400 pro Jahr geschätzt. Crizotinib ist ein oraler Tyrosinkinase-Inhibitor. Er führt bei 70 bis 80 Prozent dieser Patienten zu einem nachhaltigen Ansprechen. Die Ergebnisse sind besser als historische Daten zur Chemotherapie, vor allem ist die Behandlung mit Crizotinib besser verträglich. Die DGHO Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e.V. empfiehlt für diese Patienten den Einsatz von Crizotinib als Erstlinientherapie.

Der G-BA hat am 16. März 2017 für Crizotinib beim ROS1-positiven Lungenkarzinom die Festlegung „Zusatznutzen nicht belegt“ getroffen. Gleichzeitig hat er in der Begründung formuliert: „Für nicht vorbehandelte Patienten mit ROS1-positivem NSCLC kann eine Behandlung … (mit Crizotinib) eine relevante Therapieoption sein.“

Prof. Dr. med. Carsten Bokemeyer, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO: „Diese Begründung offenbart das Dilemma des G-BA. Er zeigt Verständnis für die klinische Situation und den verordnenden Arzt, ist aber gleichzeitig gefangen im Korsett der eigenen Regeln, die einen Zusatznutzen nur dann definieren können, wenn eine randomisierte Studie mit einem Kontrollkollektiv vorliegt.“ Ein Ausweg wäre die Schaffung einer neuen Regelung im Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) in Deutschland für kleine, molekular definierte Patientengruppen, die zahlenmäßig den seltenen Erkrankungen entsprechen und bei denen randomisierte Studien realistisch nicht mehr durchführbar sind. Die European Medicines Agency (EMA) vergibt den Orphan-Drug-Status nur für ganze Indikationen. Diese Begrenzung entspricht nicht mehr der Entwicklung in der personalisierten Krebstherapie, die auf der Basis prädiktiver biologischer Marker das Ansprechen auf eine gezielte Therapie vorhersagen kann.

Am Beispiel von Crizotinib werden auch die großen Herausforderungen an das jetzt im GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMVSG) beschlossene  Arztinformationssystem über den Zusatznutzen neuer Arzneimittel deutlich. Informationen über die Festlegungen des G-BA sind nur im umfassenden medizinischen Kontext sinnvoll und müssen in die klinische Praxis übertragbar sein. Dieses kann und sollte nicht ohne die direkte Beteiligung von Experten der jeweiligen Fachgesellschaften geschehen.

DGHO Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie
Die DGHO Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e.V. besteht seit 80 Jahren und hat heute mehr als 3.000 Mitglieder, die in der Erforschung und Behandlung hämatologischer und onkologischer Erkrankungen tätig sind. Mit der Ausarbeitung von Aus-, Fort- und Weiterbildungscurricula, der Erstellung von Behandlungsleitlinien und Behandlungsempfehlungen sowie mit der Durchführung von Fachtagungen und Fortbildungsseminaren fördert die Fachgesellschaft die hochwertige Versorgung von Patienten mit hämatologischen und onkologischen Erkrankungen.


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